Jotunheimen

Gelbe Zonen, rote Zonen, Reisewarnungen, Quarantänebestimmungen, Grenzkontrollen. Alleine die Reise nach Norwegen ist in diesen Zeiten Aufregend und unsere Ankunft alles andere als Gewiss. Immerhin befinden wir uns auf dem Weg nach Jotunheimen und nicht in den Odenwald, dessen Wege ich nach drei Monaten Reisebeschränkung und regelrecht auswändig kenne. Wir sind mit dem Auto unterwegs, was nicht so gut für mein Umweltbewusstsein ist. Zugtickets zu buchen wäre in der gegenwärtigen Lage aber zu unsicher gewesen.

Gipfeltrekking: klingt erst mal bescheuert, ist aber eigentlich nicht wenn man den großen Rucksack unten lässt, ok vielleicht ein bisschen, aber dazu später. Wir wollen in zwanzig Tagen zwei Runden durch das Land der Riesen drehen und auch ein paar Riesen besteigen. Aus der Hardaggervidda haben ich gelernt, dass Trekking bei Regen und Windstärke acht nicht so toll ist un daher haben wir einig Puffertage eingebaut.

Nach einem kurzen Blick in die Stabkirche von Lom bechlieen wir die größere der beiden Touren zu starten und fahren in Richtung Spitterstullen. Der Plan ist noch die ersten Metern zu laufen und unser Zelt auf der Ebene unter dem Glittertind aufzustellen. Somit laufen wir unsere Tour entgegen der Richtung, die wir ursprünglich geplant haben. Über einen kurzen Aufschwung und ein paar hundert Meter weiter. „Hier?“ „Oder da drüben?“ „Da hinten am Bach kriegen wir Wasser.“ Das Gefühl, mit allem unterwegs zu sein, was braucht und auf nichts angewiesen zu sein, was die Natur nicht eh hier platziert hat ist sofort wieder da. Und es ist ziemlich cool.

Wie wir es drehen und wenden, der Glittertind passt nicht in unsere Tour. Die Überschreitung klingt mit den schweren Rucksäcken am Anfang der Tour nach keiner guten Idee. Als Gipfeltour ohne Rucksack wäre er zwar machbar, aber die Aussicht oben in einer Nebelsuppe zu stehen ist auch wenig verlockend. Also gehen wir in Richtung Glitterheim über das wieite Plateau, gesäumt von kleinen Gletschern. Reentiere säumen unseren Weg und kommen bis auf wenige Meter zu uns.

Es ist windig und kühl. Sonne wechelt sich mit Schauern und sogar Schnee ab. Ich laufe noch nicht rund. Als wir in Deutschland gestartet sind waren es weit über 20 Grad und sonnig. Hier sind es maximal 5. Mir war natürlich klar, welche Witterung uns hier erwarten würde, aber es live zu spüren ist noch mal was anderes. Wir finden einen Zeltplatz in dem Tal gegenüber Glitterheimen. Der einzige weit und bereit, aber dafür auch wunderschön. Wir kauern uns unter einen Felsvorsprung und warten einen Schneeschauer ab bevor wir das Zelt aufbauen. Später im Zelt verkrieche ich mich direkt im Schlafsack, bin für heute fertig. Luisa muss Wasser kochen und essen machen. Tough women in rough landscape…

Die Nacht war windig, hat aber gutes Wetter mitgebracht. Unsere Wasserblase in der Aspside hat eine dicke Eisschicht bekommen, es muss kalt gewesen sein, richtig kalt. Wir starten den ag langsam und genießen die wärmende Sonne. Am Vormittag treffen wir eine (dem Dialekt nach) Bayern. Er prophezeit uns bestes Wetter und wirkt ein wenig geknickt als er erzählt, dass seine Tour heute in Glitterheim enden wird und er fast nur mieses Wetter hatte. Wir biegen hinunter in ein nächstes ausladenedes Tal, laufen entlang eines ausladenen Sees und lassen uns sogar dazu hinreißen ein kurzes Bade an einem der Strände zu nehmen.

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Wo bleibt er denn? Der Bessegen? Gefühlt einen halben Tag kämpfe ich mich einen Schotterhügel hinauf. Ein Schritt vor, einen halben zurück. Der Blick reicht beim Laufen ca. zwei Meter weit und dreht man sich um sieht man nichts als Nebel. Irgendwie hatte ich diese Steigung nicht auf der Karte gesehen. Oben angekommen mischt sich unter die Erschöpfung Ernüchterungs: Außer Nebel ist hier nicht viel zu sehen.

Ich habe auf seine einer visit-norway Seite gelesen, dass der Bessegen einer der spektakulästen Wege in Norwegen sein soll und ja: Die Kraxelei ist wirklich beachtlich. Schließlich reißen auch noch die Wolken auf und wir sehen, worum es wirklich geht: Der größte Höhenunterschied zwischen zwei benachbarten Seen. Wenn man an dem einen Picknick macht und den Zeh ins Wasser hällt ist wenige hundert Meter entfernt aber fast 1000 Meter tiefer ein zweiter See. Schon etwas oskurr das Ganze, aber auch gut besucht.

Wir freuen uns auf jeden Fall, als wir an der Memerubu die großen Touristensteige wieder verlassen und für uns sind.

 


Klirrend kalt, mal wieder. Ich bin von meiner nächtlichen Fotosession etwas übernächtigt und so beschließen wir es heute wieder mal langsam angehen zu lassen. Auf die klare Nacht folgt ein weiterer grandioser Tag. Das schöne in Norwegen ist ja, dass man sich nicht wirklich verlaufen kann. Ungefähr ein bis zwei mal pro Tag kommt man an eine Abzweigung. Den Rest der Zeit folgt man den Ts und diese führen uns heute entlang von Hochebenen, Flüssen und Seen. T-Shirt Wetter. Beeindruckend wie groß die Temperaturspanne hier ist: von minus 10 bis plus 20 ist an einem Tag alles dabei.

Der Nachmittag und Abend ist geprägt von Blockfeldern. Wir finden den einzigen passenden Campingplatz, nur leider fand den auch bereits schon jemand anderes. Da sieht man Tage lang kein einziges Zelt und ausgerechnet auf dem einzigen Spot weit und breit steht schon eines. Wir laufen noch weiter – viel weiter. Bergauf duch Blockfeld, Bergab durch Blockfeld und beschließen schließlich auf einem kleinen Plateau gegenüber der Leivasbu zu zelten. Etwas trostlos, aber immerhin mit Wasser, gerade und windgeschützt. Und gegenüber der Kyrka, auf die es morgen gehen soll.


Kyrka: eines der Ziele die unbedingt in die Tour mussten. Die Informationen in Netz waren zwar spärlich aber viel versprechend. Stirnlampen aufstieg und Sonnenaufgangsfrühstück oben oder Schlafsackfrühstück und entspannter Aufstieg am Vormittag? Wir sind wieder einmal faul und wählen zweiteres.  Der Aufstieg, eine Mischung aus Geröllgetrune und einfacher Kletterei ist einfach, aber nicht unattaktiv. Die Aussicht von oben ist eher so okay, aber immerhin ist es der erste Gipfel unserer Tour. Durch das weite Tal geht es zurück in Richtung Spitterstullen. Die warme Dusche und der im Auto wartende Cider ist zu verlockend, sodass wir beschließen bis zur Hütte durchzulaufen und eine Nacht auf dem Campingplatz zu verbringen.

So richtig erschöpft von unserer Tour sind wir nicht und da wir immerhin der höchsten Berg Skandinavien vor der Zelttür haben, beschließen wir kurzerhand dort hinauf zu laufen. Es ist schön mal nicht knapp 20 Kilo tragen zu müssen, ich bin überrascht, wie einfach auf einmal wieder bergauf laufen sein kann. Es hat geregnet in der Nacht, die Wolken hängen noch tiefe im Tal und wir stapfen immer wieder durch dichten Nebel. In mir kommen leichte Zweifel auf, ob wir oben nicht in einer dichten Nebelsuppe stehen werden.

Regen unten bedeutet aber auch im Sommer zumindest in Norwegen Neuschnee in den höheren Lagen. Die sonst eher grauen und etwas schmutzig wirkenden Gletscher erstrahlen im wahrsten Sinne des Wortes in schneeweiß und die mehr und mehr durchkommende Sonne hilft ihnen noch dabei. Im Vergleich zu der Einsamkeit der vorherigen Tage ist es geradezu voll auf dem Weg. Ich mag mir nicht ausmalen, was hier los ist, wenn auch noch de internationalen Touristen auf das Dach Skandinaviens wollen. Am Gipfel angekommen sehe ich ein komisches Etwas auf dem Gletscher. Es sieht aus wie ein riesiger Tausendfüßler, der immer näher kommt und tatsächlich: es ist ein menschlicher Tausendfüßler. Zirka 30 Menschen, die geführt von einem Guide direkt über den Gletscher auf den Gipfel gehen. Sieht aus wie eine Team-Building-Maßnahme.

Am Gipfel treffen wir zwei Trailrunner. Ich frage sie wie lange sie für den Weg hoch gebraucht haben. Eine Stunde und vierzig Minuten – wir haben ungefähr doppelt so lange gebraucht. Sie erzählen noch, dass sie öfter hier oben sind, aber heute sei es besonders schön. Beim Abstieg denke ich mir noch, was für eine Privileg es sein muss einfach mal den Galhöppigen als Trail nach dem Frühstück zu machen zu können, aber auch dass wir selbst für Locals einen besten Tage erwischt haben.

Nach ein paar Tagen im Tal und einer gemütlichen Cabin in Garmo packt uns dann doch wieder die Lust auf Natur und Abenteuer. Mit gesäuberter und sortierter Ausrüstung und geladenen Akkus geht es in Richtung Skjolden.  Alleine die Fahr auf der E55 ist atemberaubend. Eine Straße die sich wie ein unachtsam fallengelassenes Stück Schnur ihren Weg durch die unwegsame Landsaft bahnt. Immer nach dem geringsten Widerstand suchend vom bewaldeten Tal bis hin zu Gletscherrand. Fast 80 Kilometer ohne eine Ortschaft. Ich bin noch nie etwas vergleichbares gefahren.

Wir parken unser Auto in Turgagro und gehen von dort aus Richtung Osten. Das Ziel ist die Biwakschachtel unter dem Storen, dem Dritthöchsten Berg Norwegens. Einmal mehr begeben wir uns weg von der Zivilisatzion hin, hin zu dem Abenteuer. In ein weites Tal mit einem kleine Gletscher am Ende. Ich habe im Vorfeld viel recherchiert, was uns wohl erwarten wird, wir haben keine Gletscherausrüstung dabei. Uns kommen zwei Kletterer entgegen: „a bit slippery but easy going“ sei der Gletscher, und das bewahrheitete sich dann auch. Sulzig aber spaltentechnisch ungefährlich.

An der Skogadaboen überlegen wir lange o wir weiterlaufen oder hier die Nacht verbringen sollen. Die Biwakschachtel sieht so einladend aus, dass wir beschließen, die Nacht hier zu verbringen. Ich hoffe ein wenig auf ein weiteren Milchstraßenfoto, doch der aufgehende Mond macht mir einen Strich durch die Rechnung. Egal, der ofengewärmte Biwak auf 2300 Meter ist auch ohne Milchstraße atemberaubend.

 

Wir werden früh morgens von zwei Kletterern geweckt, die ihre erste Brotzeit vor dem Biwak machen. Sie wollen auf den Storen, der nicht allzu leicht zu besteigen ist. Sie meinen es wäre der „perfect day to climb the Storen“ und ja, es sieht wirklich wie ein perfekter Tag aus. Die Sicht klar, nicht sehr kalt, windstill.

Wir machen uns auf den Weg ins Midmadalen. Die Karte verspricht einen Pfad irgendwo da runter. Wir suchen nach dem Weg hinab, testen Abhänge, klettern ein Stück ab um festzustellen, dass es keine Weiterkommen gibt, gehen nach rechts auf eine Klippe und finden eine potenzielle Linie durch den Gletschebruch. Wir finden einen Klemmkeil mit einer Reepschnur daran und etwas weiter unten Einfachseil befestigt an einer Sanduhr, welches unter dem Schnee verschwindet. Hoffentlich ist das gut ausgegangen denke ich bei mir. Wir lassen unsere Rucksäcke mit Hilfe der Zeltleinen eine Klippe hinunter und klettern ab. Noch über ein steiles Schneefeld und dann kommen wir nach einem halben Tag Kraxelei im Talboden an.

Das Tal ist eine acht Kilometer lange Sackgasse in die sich scheinbar nicht so häufig Menschen verirren. Dafür hat sich eine beachtliche Mauspopulation aufgebaut, die scheinbar keinerlei Scheue zu haben scheint. Die erste Maus rennt regelrecht direkt vor meinen Schuh und fängt an zu schreien, dass mir vor Schreck fast der Trekkingstock aus der Hand fällt. Das es kein Einzelfall einer Maus mit Größenwahn ist stellt sich ein paar Meter weiter heraus, als die nächste Maus gegen uns protestiert.

Wir gehen über die Kirkenstige auf ein kleines Plateu und bauen unser Zelt an dem schönsten Platz der Tour auf. Weiter Blick auf die Berge um Galhöppigen und in die Hochebene unter uns, sonnenverwöhnt bis in der Abend.

 

Einer der „Hotspots“ nachdem ich die Tour geplant habe ist der Vettisfossen. Man könnte sagen es ist das Vettisfossenkomplettpaket. Von weitem sehen wir schon den riesigen „Riss“ in der Landschaft: ein tiefes, steil abfallendes Tal und den Vettisfossen auf der anderen Seite. Wir kommen an der XXX-Hütte vorbei, eine Hütte, wie sie idyllischer nicht liegen könnte. Dann hinunter in das Tal und zum Wasserfall. Ich kraxele weiter den Bachlauf empor, bis ich die Gischt im Gesicht spüren. Ich bin komplett alleine hier und beobachte wie die Wassermassen in die tiefe stürzen. Fast ein meditativer Augenblick.

So hart der Abstieg, so hart ist auch der Aufstieg. Ich komme am Vettisfossen vorbei und bin überrascht, welch kleiner Fluss zu dem Wasserfall führt. Durch lichten Wald und ein kleines Blockhüttendorf geht es aufwärts. Sumpf, aber kein brauchbares Wasser. Das erste Mal auf der Tour haben ich ein Wasserproblem. Um beim Aufstieg leicht zu sein habe ich fast alles weg gegossen, aber jetzt lässt sich kein Bach finden, aus dem sich Wasser nehmen ließen. Schließlich komme ich an einen größeren Fluss und baue das Zelt an einem bekannten Platz

Ich treffe eine älteren Norweger – ich schätze ihn auf mindestens 60. Ich bin gerade dabei Feuerholz zusammen. Er ist schon 7 Tage unterwegs und fragt ob er sich dazugesellen darf, zeigt mir unversiertem Städter wie man Feuer macht. Wir sitzen lange am Feuer, reden über Norwegen, Deutschland und das was man braucht und nicht braucht um hier draußen zu sein… hier draußen glücklich zu sein.

Finale. Der letzte Tag hier draußen ist angebrochen. Der ältere Herr verabschiedet sich bereits, als ich noch nicht einmal aus dem Schlafsack bin. Ich folge dem Weg in Richtung XXX-Hütte. Es ergeben sich Blicke in das Mimardalen. Von hier aus sieht der Gletscherbruch absolut unüberwindbar aus. Der weitere Weg für durch dichten Wald. Zum ersten mal kommt mir mein Rucksack schwer vor. Beeindruckend, wie die wahrnehmung der umgebung das subjektive Gewicht des Rucksacks beeinflusst.

Ich bin auf dem Weg über den letzten Höhenzug und möchte kurz vor dem Parkplatz noch einmal das Zelt aufschlagen. „Here comes the man with the big camera“ ich muss lächeln, auch wenn ich aufgrund der Steigung gerade ziemlich am Ende bin. Ich komme mit zwei Norwegern ins Gespräch, die von der Fannarakkhytta kommen. „You have to go there – the sunset is so impressive up there.“ Hmm ca. 500 weitere Höhenmeter, eigentlich hätte ich die Hütte reservieren müssen und es ist schon relativ spät. Aber wann wirst du wieder an dieser Stelle stehen und dir überlegen, ob du auf die Hütte gehst oder nicht? Wie in Slow Motion gehe ich den Berg hoch. Es ist unfassbar windig und ich merke mittlerweile jeden Schritt. Aber es ist wieder einmal imposant sich in dieser Welt Meter für Meter auf den vierthöchsten Berg Norwegens empor zu arbeiten.

„Kein Wasser auf der Hütte – bitte füllt Wasser hier ab“ hmm macht Sinn, auf Gipfeln gibt es meist keine Bäche. Was genau ich von einer Hütte, die auf dem virthüchsten Berg Norwegens steht erwartet habe, weiß ich nicht genau, aber sicher kein Dreigängemenü. Zugegeben Tomatensuppe, Köttbullar und Dosenbirne mir Zartbitterschokolade ist jetzt nicht das hervorragendste Mahl, aber wir befinden uns ja auch auf einer der entlegendsten Hütten Europas. So einige Erwartungen hatte ich dann aber schon an den Sonnuntergang und ja es ist so ein bisschen wie Kino für Outdoormenschen: man nimmt auf dem favorisiten Platz (= Stein) platz und genießt die Show. Und die Show auf diem Fannaraki war echt gut.

 

Was bleibt

Ich bin noch nie so viel Auto gefahren, weder im Urlaub noch wann anders. Wir haben uns auch eher aus der Corona-Not heraus für das Auto entschieden, unter „normalen“ Bedingungen hätte ich unter allen Umständen versucht mit dem Zug hier her zu kommen. Und auch, wenn mich ein wenig das schlechte Gewissen plagt, muss ich sagen, dass allein das Autofahren durch diese endlosen Weiten ein Erlebnis für sich ist. Zudem ist es bei einer Geschwindigkeit von 90km/h auch extrem entspannt.

Das mit dem Gipfeltrekking überdenke ich noch mal. Fest steht aber, dass Jotunheimen eine ziemlich große Spielwiese für mehr oder minder ambitionierte Alpinisten bietet mit einem großen Unterschiede zu den anderen Spielwiesen, wie den Alpen: Es gibt keine einfachen  Siege. Während man in den Alpen Aufstiegshilfen, befestigte Wege und alle paar Kilometer großartig bewirtete Hütten bis kurz vor den Gipfel hat, ist man in Norwegen vielerorts auf sich gestellt,  ohne planierten Weg und mit spärlich gesähten, einfachen Hütten.